Redaktorin Mea McGhee und Tagblatt-Fotograf Michel Canonica waren am Samstag in Urnäsch beim Alten Silvester mit dabei. (Bilder: Michel Canonica)
Längst ist der Alte Silvester kein Geheimtipp mehr. Das Brauchtum zieht Leute von Nah und Fern an. Wer in Urnäsch übernachten will, muss sich lange im Voraus um einen Schlafplatz kümmern. Und wer die Chläuse beim Znacht hautnah erleben möchte, wird bei mancher Gaststube anfragen und so einige Absagen erhalten.
Das Chlausen am Alten Silvester, dem 13. Januar, hat im Appenzeller Hinterland Tradition. Ralph Ribi hat in Urnäsch gefilmt. (Ralph Ribi)
Hotels sind seit langem ausgebucht
Seit Wochen beantworten die Mitarbeiter von Appenzellerland Tourismus AR in Urnäsch und Heiden mehrere hundert Anfragen per Telefon und Email. «Jeden Tag ruft jemand an und erkundigt sich nach freien Plätzen», sagt auch Roger Bodenmann. Seit fünf Jahren wirtet er im «Ochsen» gleich beim Dorfplatz. Dort finden in der Gaststube rund 70 Personen Platz. «60 Prozent der Plätze sind für Einheimische reserviert, quasi auf Lebenszeit.» Den Rest besetzen Gäste von weither: Deutschland, Zürich, Basel oder Genf. Der «Ochsen» verfügt zudem über sechs Hotelzimmer – auch sie sind längst ausgebucht.
Wenn die Schuppel am Abend im Akkord durch die Beizen im Zentrum ziehen, hat Bodenmann alle Hände voll zu tun. Er kümmert sich ausschliesslich um die Chläuse. «Ich lege grossen Wert darauf, dass sie sich hier wohl fühlen.» 25 bis 35 Gruppen gehen an einem Abend ein und aus. Nach drei Zäuerli ist Schluss. Damit die Gaststube den Abend unversehrt übersteht, schützt Bodenmann Tische, Ofen und Buffet mit Platten. Sogar eine spezielle Türe hat er anfertigen lassen. Von aussen nach innen steht die Klinke senkrecht. «So ist die Tür für die Chläuse einfacher zu öffnen, da sie durch die Larven weniger gut sehen.»
Die Verkehrsführung regeln die Feuerwehren in Absprache mit der Kantonspolizei. Diese wacht an diesem Tag vermehrt mit Patrouillen über die Sicherheit in den Hinterländer Gemeinden. Bisher sei der Anlass von schwereren Vorfällen verschont geblieben, sagt Mediensprecher Marcel Wehrlin. «Verkehrstechnisch ist das eine recht rüebige Angelegenheit.» Bei den Besuchern handle es sich um am Brauchtum interessierte Personen, die den Anordnungen Folge leisten würden.
Auf den Strassen im Dorfkern herrscht am Alten Silvester autofreie Zone. Von 10 bis 18 Uhr verbindet ein Shuttlebus für den Preis von drei Franken den Dorfplatz mit der Region Tal und der Schulanlage Au. Nach Bedarf fährt ein weiterer Shuttlebus für fünf Franken zur Schönau hinauf, wo viele Chlausenschuppel sich bereits am Morgen auf ihren «Strech» begeben. Gleich vor dem Schulhaus Mettlen zweigt die Schönaustrasse rechts von der Schwägalpstrasse ab. Der Weg hinauf ist kurvig. Bald blickt man ins Tal hinunter, wo sich Urnäsch dem gleichnamigen Fluss anschmiegt.
Gestärkt in den Tag mit einem «Chlause-Zmorge»
Nach drei Kilometern ist das Restaurant Schönau erreicht. Nochmal rund 2,5 Kilometer weiter, wo das Appenzellerland schon beinahe ins Toggenburg hinüberfliesst, führt das junge Ehepaar Ueli und Bettina Rechsteiner mit dem «Hof Tell Appenzell» einen Erlebnishof. Dieses Jahr veranstalten sie zum ersten Mal einen «Chlause-Zmorge». Ueli Rechsteiner ist heuer nach 23 Jahren für einmal nicht mit seinem Schuppel unterwegs. In der eigens dafür eingerichteten Winterhütte veranstalten die innovativen Unternehmer von vier bis acht Uhr morgens einen Brunch mit Glühwein, Gerstensuppe, Rösti, Speck und allem, was das Herz begehrt. 15 Gäste haben sich bereits angemeldet, gut möglich, dass weitere Personen dazustossen. Die Hütte ist urchig eingerichtet. Holzschnitzel liegen am Boden, die Wände sind mit Tannenchries bedeckt. Draussen steht ein Grill, auf dem gekocht wird. Uelis Augen leuchten, wenn er von seinen Erfahrungen erzählt: «Das ist das Allerschönste am Chlausen; am Morgen früh bei Mondschein nur mit dem Schuppel ganz alleine durch die Landschaft zu ziehen – das geht unter die Haut.»Während die Schuppel am Morgen vor allem in den Aussenbezirken unterwegs sind, sind sie am Nachmittag in den Gegenden «Im Bindli» und «Tal» anzutreffen. Gegen Abend besuchen sie die Gasthäuser im Zentrum. Wie die Mehrzweckhalle verfügt auch das Reka-Dorf über einen grossen Raum. Die Betreiber Hanskoni und Elisabeth Frischknecht erwarten am Samstagabend 250 Personen. Die 50 Wohnungen sind seit längerer Zeit ausgebucht. Dennoch ist die Nachfrage ungebremst. Gut 15 Schuppel werden erwartet.
Weil das Feriendorf etwas abseits des Dorfkerns liegt, fänden nicht alle Schuppel den Weg zu ihnen, sagen Frischknechts. Auf die Chläuse sind sie bestens vorbereitet: Der Boden ist abgeklebt, um Schäden zu vermeiden. Die Tische sind so angeordnet, dass sich in der Mitte des Saals eine runde Einbuchtung ergibt, wo die Gruppen genügend Platz finden, um sich im Kreis aufzustellen und sich auszutoben.
Und was machen die Silvesterchläuse, um sich vorzubereiten? «Das Groscht muss manchmal etwas ausgebessert werden», sagt Frischknecht. Er überlässt am Alten Silvester das Wirten seiner Frau und ist mit seinem Schuppel unterwegs. Am Abend vor dem grossen Tag sitze man zusammen, um den Ablauf des kommenden Tages in Ruhe zu besprechen. Denn eines steht fest: Ruhig geht es am Alten Silvester bestimmt nicht zu und her.