Der Kanton äussert sich zu den Vorwürfen: Hätte der Tod von 5000 Äschen verhindert werden können? | W&O

26.07.2022

Der Kanton äussert sich zu den Vorwürfen: Hätte der Tod von 5000 Äschen verhindert werden können?

Rund 5000 Äschen wurden tot in der Zuchtanlage des Fischereivereins Werdenberg gefunden. Hätte der Kanton St.Gallen das Fiasko abwenden können? Die Ämter weisen den Vorwurf von sich, räumen aber ein: Der gesicherten Versorgung der Anlage hätte mehr Beachtung geschenkt werden müssen.

Von Oliver Kerrison
aktualisiert am 28.02.2023
Wer den Fisch macht, wie es umgangssprachlich heisst, verschwindet. Bei hohen Temperaturen wird für kälteliebende Fische aus der Wendung traurige Realität: Im Hitzejahr 2018 verendeten in der Schweiz rund 90 Prozent der Äschen in warmen Flüssen. Die ebenso schöne wie sensible Fischart – 2016 zum Schweizer Fisch des Jahres gewählt – ist existenziell gefährdet, droht ganz aus den nationalen Gewässern zu verschwinden. Umso wertvoller ist der unermüdliche, von zahlreichen Freiwilligen mitgetragene Einsatz, der im Umfeld von Aufzuchtanlagen geleistet wird. So auch im Werdenberg, wo im Fischereiverein Werdenberg meist pensionierte Vereinsmitglieder die Brutanlage betreuen. Als vorletzte Woche ein Pensionär an einem Samstag die Anlage zum Füttern der Fische betritt, trifft er auf leblose Fische (der W&O berichtete). «Alle Tiere sind tot», alarmiert er Christian Schwendener, Vorstandsmitglied des Fischereivereins, telefonisch. Schwendener, der zu diesem Zeitpunkt beim hitzebedingten Notabfischen mithilft, fährt zur Anlage am Böschengiessen und muss feststellen: Ein kleiner Rest von höchstens 1000 Fischen hat überlebt; 2200 Jungtiere sowie rund 3000 Muttertiere sind an Sauerstoffmangel eingegangen.
 Tausende tote Äschen, zum Teil über 50 Zentimeter gross, musste der Fischereiverein zur Kadaversammelstelle bringen.
Tausende tote Äschen, zum Teil über 50 Zentimeter gross, musste der Fischereiverein zur Kadaversammelstelle bringen.
Bild: PD

Keine Lösung trotz zahlreicher Sitzungen

Der Pensionär und Christian Schwendener schauen sich in die Augen, sagen kein Wort.  Schwendener:
In diesem Moment funktionierst du einfach, mehr nicht.
 Christian Schwendener
Christian Schwendener
Wie konnte dies passieren? Als Todesursache vermutet Schwendener die hohen Temperaturen in Kombination mit der spärlichen Frischwasserzufuhr. Der Wasserstand des angrenzenden Böschengiessen sei in der Nacht von Freitag auf Samstag ruckartig zurückgegangen, sagt Christian Schwendener. Zu unvermittelten Ereignissen in der Natur komme es immer mal wieder, sagt er: «Doch der Turnus wird aktuell immer kürzer.» Zuletzt spitzte sich die Situation am Böschengiessen, aus dem der Fischereiverein das Wasser bezieht, zu: Wasserentnahmen für Industriebetriebe oder die Landwirtschaft wurden im Gebiet des Böschengiessens bewilligt, Biber richteten Dämme ein – inzwischen fliesst das Gewässer nicht mehr, es plätschert vor sich hin.
 Von einem fliessenden zu einem stehenden Gewässer: Christian Schwendener zeigt auf den Zustand des Böschengiessen in unmittelbarer Nähe zur Fischzucht Werdenberg.<br />
Von einem fliessenden zu einem stehenden Gewässer: Christian Schwendener zeigt auf den Zustand des Böschengiessen in unmittelbarer Nähe zur Fischzucht Werdenberg.
Bild: Corinne Hanselmann
" fotograf="Bild: Corinne Hanselmann" textUmfliessen="0" lightbox="0" /> Bereits vor Jahren hatte sich der Fischereiverein Werdenberg an den Kanton St.Gallen gewandt, eine Besichtigung vor Ort gefordert und eine Idee für den Bau einer neuen Wasserleitung vom rund 200 Meter entfernten Sevelerbach skizziert. «Ich war an zahlreichen Sitzungen in St.Gallen, doch eine Lösung wurde bis anhin nicht gefunden», sagt Schwendener nach dem Vorfall gegenüber dem «Werdenberger & Obertoggenburger». Hätten sich die toten Äschen verhindern lassen? Wurden vonseiten des Kantons Fehler begangen?

Der Kanton zeigt sich betroffen

Zumindest keine offensichtlichen Fehler, heisst es beim Kanton St.Gallen auf Anfrage:
Rückblickend hätten alle Parteien einer gesicherten Versorgung der Fischzuchtanlage mit genug und kühlem Wasser mehr Beachtung schenken müssen.
Das Ereignis sei überraschend gekommen und mache betroffen – auch beim Kanton. Die Vermutung allerdings, dass die Abflussverhältnisse im Böschengiessen von den bewilligten Wasserbezügen beeinflusst worden seien, treffe nicht zu. Dies habe eine Abklärung gezeigt. Überdies sei 2021 eine Messstation beim grössten Zufluss des Böschengiessens installiert worden, die einer regelmässigen Kontrolle dient. Die Daten der Messstation sollen nun auch helfen, den Vorfall im Werdenberg weiterführend zu untersuchen. Dass die Zusammenarbeit zwischen dem Fischereiverein Werdenberg und dem Kanton St.Gallen – wo das Amt für Natur, Jagd und Fischerei sowie das Amt für Wasser und Energie zuständig sind –, ansonsten konstruktiv verlaufe, bestätigt Christian Schwendener. Er wolle den Kanton nicht angreifen, doch vieles in der Zusammenarbeit erfordere jeweils Geduld:
Es dauert meist zu lange.
Beim Kanton verweist man auf die Vielschichtigkeit des Themas, zwischen den Zeilen der schriftlichen Stellungnahme schimmert eine gewisse Ohnmacht hindurch. Infolge der Klimaveränderung seien die Wasserressourcen stark unter Druck; die aktuelle Trockenheit werde wöchentlich beurteilt, bei Bedarf Massnahmen eingeleitet. Doch selbst mit Massnahmen könne ein Trockenfallen von Gewässern nicht im jedem Fall verhindert werden.

Von Äschen auf Forellen umsteigen?

Beim Fischereiverein Werdenberg sei mit dem Vorfall vielen die Lust vergangen, sagt Vorstandsmitglied Christian Schwendener. Auch der grösste Idealismus kenne Grenzen, finanziell motiviert sei das Engagement ohnehin nicht. Hingegen könnte die Umsetzung der vorgeschlagenen zusätzlichen Wasserleitung für Notsituationen einen Motivationsschub verleihen. Schwendener hofft auf die Unterstützung des Kantons. Verbessere sich allerdings die Situation nicht, müsse der Fischereiverein Werdenberg prüfen, die Äschenzucht zu beenden und auf Forellen umzusteigen. In der Aufzucht deutlich unkomplizierter, sind auch Forellen aktuell gefährdet: Alle kälteliebenden Fischarten sind von den Klimaveränderungen stark betroffen – neben den Äschen, Bach- und Seeforellen sowie Groppen auch einheimische Krebse und Muscheln, heisst es vonseiten des Kantons St.Gallen.

Die Fischfauna profitiert vom Biber

Mit Blick auf den Vorfall warnt Samuel Häne von Pro Natura St.Gallen-Appenzell davor, verschiedene geschützte Arten – konkret die Biber und die Äschen – gegeneinander auszuspielen. Vielmehr seien die Anstrengungen zur Revitalisierung der beeinträchtigten Fliessgewässer zu unternehmen. Die Gewässer bräuchten wieder mehr Dynamik. Übrigens würden gerade Biber mit ihrer Bautätigkeit Strukturen in und an den Gewässern gestalten, so Häne, von denen wiederum andere Arten und auch die Fischfauna profitierten. Der Kanton St.Gallen betont schliesslich den grossen Aufwand, der auf verschiedenen Ebenen betrieben werde, um gefährdete Fischarten zu erhalten und zu fördern. Neben der Aufzucht und Besatz von Jungfischen führt man etwa Notabfischungen bei prekären Wassertemperaturen durch. Der Fischereiverein Werdenberg kennt und schätzt dieses Engagement; in den letzten 14 Tagen hat auch der Verein vier Notabfischungen auf dem eigenen Pachtgebiet vorgenommen. «Ehrenamtlich», betont Christian Schwendener – der Antrieb ist klar: Die Äsche soll weiterschwimmen. Bevor der Idealismus den Fisch macht.