Ein Stück Schweizer Zeitgeschichte: Hier wurden eine halbe Million Arbeitskräfte medizinisch untersucht | W&O

Buchs 27.08.2025

Ein Stück Schweizer Zeitgeschichte: Hier wurden eine halbe Million Arbeitskräfte medizinisch untersucht

Die ehemalige Grenzsanitätsstelle in der Birkenau ist einer von vier ausserordentlich spannenden Orten, die am Europäischen Tag des Denkmals besucht werden können.

Von Armando Bianco
aktualisiert am 27.08.2025
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Die Grenzsanitätsstelle Buchs Birkenau war jahrzehntelang ein Nadelöhr der schweizerischen Migrationspolitik. Von Ende der Fünfziger bis zu ihrer Schliessung im Jahr 1993 wurden dort mehr als eine halbe Million Saisonarbeitskräfte medizinisch untersucht, bevor sie in Fabriken, auf Baustellen oder in der Landwirtschaft der Schweiz Arbeit fanden. Die Einrichtung entstand in einer Zeit, als die Schweiz verstärkt auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen war.

Heute ist die Grenzsanitätsstelle Buchs-Birkenau vor allen ein fast vergessener Erinnerungsort. Am 13. September wird ihrer Geschichte anlässlich der Europäischen Tage des Denkmals nochmals Leben eingehaucht. Die Grenzsanität steht für ein Kapitel Schweizer Zeitgeschichte, das eng mit der Arbeitsmigration verbunden ist. Für viele der Betroffenen markierte der Gang durch die Station den Beginn ihres Arbeitslebens in der Schweiz.

Einzelne Tage waren eine enorme Herausforderung

Mit der Planung für die Einrichtung wurde 1957 begonnen, zwei Jahre später Grenzsanitätsstelle ihren Betrieb am Standort Birkenau auf. Dieser war strategisch gewählt, lag er doch direkt an der Grenze zum Vorarlberg. Hier passierten damals viele Saisonniers aus dem damaligen Jugoslawien die Grenze.

Die Kontrollen dienten offiziell dem Gesundheitsschutz, vor allem die Tuberkulose galt als Bedrohung, hielt Gerold Mosimann selig im Buchs Aktuell von 1993 in einem rückblickenden Bericht fest. Jeder Ankommende musste sich einer Röntgenuntersuchung der Lunge unterziehen, oft in langen Schlangen wartend, dicht gedrängt in den engen Räumen.

Vier Besichtigungen

Am 13. und 14. September präsentieren die Europäischen Tage des Denkmals in der Schweiz an mehr als 400 Veranstaltungen «Architekturgeschichten» von Menschen und Gebäuden, in denen sie leben, arbeiten und die sie gestalten. Unter dem Titel «Architekturgeschichten» laden die Europäischen Tage des Denkmals 2025 auf eine Zeitreise ein, die zu bisher unbeachtetem Kulturerbe führt. Der Denkmaltag thematisiert die Bauentwicklung der Nachkriegszeit und stellt die Frage: Was gilt es zu schützen und für wen?

Auch in Buchs gibt es am Samstag, 13. September, ein äusserst interessantes Programm (kostenlos) mit Führungen und Lesungen. Im Zentrum steht dabei unter anderem die ehemalige Grenzsanitätsstelle Birkenau. Die städtebauliche Entwicklung von Buchs ist seit Jahrhunderten eng verknüpft mit der Geschichte des Handels und der Migration. Zu Wort kommen soll auch die Sicht der Menschen, die in Buchs als Migranten angekommen sind. Der in Buchs geborene Architekt Werner Gantenbein trug ebenso wie der aus Deutschland immigrierte Ernst Sommerlad zu einem neuen Denkmaldiskurs bei.

Architekturformen in der boomenden Stadt: 9.15 bis11 Uhr, Treffpunkt Bahnhof Buchs, Bahnhofplatz 3. Spaziergang mit Joshua Loher, Architekt und Martin Klauser, Landschaftsarchitekt (Gehzeit insgesamt zirka 40 Minuten).

Gastlichkeit im Restaurant Traube: 11 bis 12 Uhr, Restaurant Traube, St. Gallerstrasse 7, Buchs. Führung durchs Haus, anschliessend Apéro mit Ansprache von Stadtpräsident Rolf Pfeiffer und Moritz Flury-Rova, Leiter Denkmalpflege

Grenzbahnhof Buchs: 14 bis 15.30 Uhr, Treffpunkt Bahnhof Buchs, Bahnhofplatz 3. Ein informativer Rundgang mit Katya Nozhova von der SBB-Denkmalpflege und Moritz Flury-Rova von der Denkmalpflege Kanton St. Gallen.

Grenzsanität Birkenau: 15.30 bis17 Uhr, Treffpunkt Bahnhof Buchs, Bahnhofplatz 3. Führung mit Manuel Medina Gonzalez, Lucia Bernini und einer Lesung von Shpresa Jashari.

Alle Veranstaltungen am Samstag 13. September können hintereinander besucht werden. Anmeldung erforderlich unter E-Mail denkmalpflege@sg.ch

Die Station konnte an Spitzentagen kaum Schritt halten, als Beispiel führt der Autor den 17. März 1980 auf, als sich rund 1500 jugoslawische Arbeitskräfte in der Anlage drängten, was einem logistischen Ausnahmezustand gleichkam. Quasi im Akkord wurden hier Menschen durchgeschleust, durchgecheckt. Das war aber nicht immer so, es gab immer wieder wellenartige Veränderungen.

Vor allem jeweils bei Saisonbeginn des Bauhauptgewerbes, also in den Monaten März und April, herrschte Hochbetrieb. Flüchtlinge und Arbeitskräfte kamen damals vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien und dem Osten, aber auch einige aus Asien. Die Gesundheitschecks waren damals obligatorisch.

Die Anfänge gehen auf die Nachkriegszeit zurück

Rund 35 Jahre lang war die Grenzsanitätsstelle Buchs-Birkenau ein fester Bestandteil des Schweizer Grenzregimes. Sie verdeutlicht, wie sehr Gesundheitspolitik und Migrationspolitik ineinandergriffen. Das Gebäude in der Birkenau war ein zentraler Schauplatz in der Schweizer Migrationsgeschichte.

Vieles davon ist in einer Zeit wie heute, wo sich im Zuge der Globalisierung die Menschenströme verändert haben, fast vergessen. Ende Februar wurde die Stelle unter der letzten Verwalterin Hedi Risch geschlossen - in aller Stille.

Die Anfänge des Buchser Grenzsanitätsdienstes gehen in die Nachkriegszeit zurück. Der Buchser Dorfarzt Dr. med; Otto Metzler betreute damals mit freiwilligen Helferinnen und Helfern in Buchs die Kinder, die in Sonderzügen zu einer mehrmonatigen Erholung in die Schweiz einreisten. 1948. starb er, das begonnene Werk setzte Grenzarzt Dr. med. August Strassmann fort.