«Kinderkram: Herbstferien-Amnesie», 24. Oktober 2025
Katharina Rutz schreibt in ihrer Kolumne «Kinderkram» vom 24. Oktober, es sei ihren Kindern in den Herbstferien «nicht in den Sinn gekommen, dass da noch ein Buch wäre, das bis Ende Oktober fertig gelesen sein müsste». Und auf ihren Hinweis an die Kinder, es könnte dann sonst mit Antolin, der Onlineplattform zur Leseförderung in Schulen, bis Ende Oktober ziemlich «stressig» werden, hätten ihr die Kinder nicht einmal eine Antwort gegeben. Denn in ihren Köpfen sei, sobald die Herbstferien angefangen hätten, «alles, was mit Schule zu tun hat, in Sekundenschnelle ausradiert» gewesen.
Weil angeblich die heutigen Kinder zu wenig lesen, versucht man mit immer raffinierteren Methoden, sie zum Lesen anzuspornen. So zum Beispiel müssen sie jeden Tag nach der Schule während einer vorgeschriebenen Zeitdauer lesen. Oder sie können mit Lesen Punkte sammeln und werden dann dafür auf die eine oder andere Art belohnt. In der Schule selber werden sie dazu angehalten, zu einem gelesenen Text Fragen zu beantworten, über das beim Lesen Empfundene zu sprechen oder Texte in eine Kurzform zusammenzufassen. Alles soll vermeintlich dazu dienen, dass die Kinder möglichst viel lesen und in der Entwicklung ihrer Lesefähigkeit möglichst nichts verpassen.
Leider wird aber durch alle diese sogenannten «Fördermassnahmen», auch wenn sie noch so gut gemeint sind, das Lesen nicht wirklich gefördert, sondern eher gefährdet. Denn Lesen ist durchaus etwas, was die Kinder von Natur aus gerne täten – vorausgesetzt, man lässt ihnen dabei die grösstmögliche Freiheit, selber zu entscheiden, was, wann, wie viel und wie lange sie lesen wollen, im Vertrauen darauf, dass es ihrer Leseentwicklung ganz und gar nicht schadet, wenn sie auch mal eine gewisse Zeitlang überhaupt nichts lesen – diese Freiheit nehmen sich die Erwachsenen selber ja auch heraus. Und wie wollen sie die Kinder zu etwas zwingen, was sie selber gar nicht vorleben?
Lesen ohne Spass, bloss aufgrund äusseren Drucks, bringt rein gar nichts. Es führt dann nämlich genau zu dem, was Katharina Rutz in ihrer Kolumne so treffend beschreibt: Nämlich, dass die Kinder, kaum haben die Ferien begonnen, von Büchern überhaupt nichts mehr wissen wollen. Dabei wäre ja gerade jetzt die meiste und schönste Zeit für Lesen vorhanden. Ich erinnere mich, als Kind oft am Abend im Bett so lange gelesen zu haben, bis mir vor Müdigkeit die Augen zufielen. Nicht weil mich irgendwer dazu gezwungen oder es von mir erwartet hätte. Damals gab es noch keine Leseförderprogramme, keine Bonuspunkte oder Plastikfiguren pro geleistete Lesezeit. Sondern nur die grenzenlose Freiheit, das zu tun oder nicht zu tun, wozu man gerade am meisten Lust hatte.
Peter Sutter
Wiedenstrasse 32, 9470 Buchs
Lesen lässt sich nicht erzwingen