Noch sind der Himmel und die Innenstadt St. Gallens grau, als sich am Samstagnachmittag Menschen auf den Weg machen, um sich vor dem Vadiandenkmal für die zweite St.Galler Pride zu versammeln. Unter die jüngeren Menschen mischen sich auch andere Altersgruppen. Sofort stechen einem die vielen Regenbogenflaggen ins Auge, die der Gruppe eine Art Einheit verleihen.
Buntes Treiben in der Stadt St.Gallen
Es ist nicht das bunte Treiben der Street Parade und doch ist die Stimmung anders als sonst auf dem Marktplatz. Neben einzelnen auffällig gekleideten Personen und einer Gruppe Puppyplayern, Personen mit Hundemasken, sind auch viele Menschen in Alltagskleidung anwesend. Ein antikapitalistischer Block sowie Mitglieder der Juso mit Palästina-Flaggen stossen dazu und sprechen sich gegen eine Kommerzialisierung von Queerness aus.

Ausgelassene Stimmung in den Gassen von St.Gallen
Kurz nach halb zwei machen sich schliesslich die rund 2200 Menschen auf, um durch die Gassen zu ziehen und mit Schildern und Parolen für eine vielfältige Gesellschaft zu demonstrieren. Die Stimmung wird ausgelassener, als sich langsam die Sonne zeigt. Ein Lautsprecher spielt Songs von Lady Gaga bis Queen, vereinzelt gibt es Schaulustige am Rand.

Wer in der Innenstadt den Blick nach oben hebt, kann keinen Hinweis zur Pride erkennen. Denn: Der Stadtrat hält weiterhin am Beflaggungsverbot fest. Andrea Calzavara, die Co-Präsidentin der diesjährigen Pride, findet dies schade: «Vielleicht käme auch die ein oder andere Person, die mit dem Thema nicht viel zu tun hat, an die Pride, wenn sie sähe, dass der Stadtrat sich zu uns bekennt.» Es gehe der Veranstaltung darum, ein Zeichen zu setzen und Menschen vor Diskriminierung zu schützen.
Pappa äussert sich zum Verbot von Beflaggung
Als Maria Pappa, gehüllt in einen Regenbogenponcho und eine Flagge, später eine Rede hält, verteidigt sie die Entscheidung des Stadtrats. «Wir haben uns entschieden, dass Flaggen von Aktionstagen, politische Botschaften und Banner von Firmenjubiläen nicht möglich sind. Bedeutet dieser Entscheid somit, dass St. Gallen nicht offen ist für Themen der LGBTQ-Community? Nein! Ansonsten würde ich als Stadtpräsidentin nicht an dieser Pride teilnehmen.» Sie bekenne Flagge, als Privatperson und als Stadträtin.

Auf dem St.Leonhardspark ist eine Bühne aufgebaut, es gibt Aktionsstände und gastronomische Verpflegung. Auch die reformierte und katholische Kirche ist mit der City-Seelsorge vertreten und verteilt Segnungen mit Glitzer.
Brücken anstatt Mauern bauen
Auf der Bühne begrüsst Calzavara die Menge und kommt sogleich zum Motto der Pride: «Wir sind der lebende Beweis dafür, dass Vielfalt keine Mauern braucht, sondern Brücken […] queere Liebe trotzt den Regeln, die nie für uns gemacht wurden.» Die St. Galler Pride sei eine überregionale Veranstaltung. «Ich hoffe, dass die Pride eines Tages eine Tradition ist, auf die St.Gallen stolz sein kann.

Die erste St.Galler Pride fand 2023 statt. «Den Zweijahresrhythmus haben wir uns bewusst ausgesucht, da wir jeweils mit der Chur Pride abwechseln. Zudem brauchen wir eine gewisse Vorlaufzeit, um alles vorzubereiten», so Calzavara. Die Vorbereitungen für die diesjährige Pride begannen vor anderthalb Jahren. «Wir wurden professioneller und strukturierter, haben unser Social-Media erweitert und sind inklusiver geworden. Das Angebot ist dieses Jahr noch vielfältiger und breiter, als bei der letzten Veranstaltung.»

Alleine die Existenz queerer Menschen sei politisch
Stadträtin Pappa spricht in ihrer Rede unter anderem über queerness im Sport und inspirierende Beispiele aus anderen Ländern, eine Sprecherin von Queeramnesty über queere geflüchtete Menschen. Die ehemalige Pfarrerin, Annette Spitzberg erzählt in ihrer Rede, dass alleine die Existenz queerer Menschen bereits politisch sei. Die Liebe sei eine riesige Kraft, die keine Grenzen kenne.
Später treten Dragqueens, Tänzer, sowie eine Comedienne und ein Musiker auf der Bühne auf und sorgen für Unterhaltung.

Für die Zukunft erhofft sich das Organisationskomitee, dass noch mehr Menschen teilnehmen. Calzavara betont, dass der Anlass für alle da sei. «Ich glaube, dass die Pride eine Form von Raum schaffen kann, wo es möglich ist, dass alle Menschen frei und willkommen sein können.» So sei die Pride nicht nur ein Ort für Gleichgesinnte. «Wir möchten auch allen Eltern, Interessierten und Freundinnen und Freunden ermöglichen, an der Veranstaltung teilzunehmen.»
Queere Liebe trotzt den Regeln