Verschollener Seveler Freiheitsbaum wiederentdeckt | W&O

Sevelen vor 5 Stunden

Verschollener Seveler Freiheitsbaum wiederentdeckt

Der bedeutende Fund ist ein Symbol der Befreiung von der Untertanenherrschaft.

Von PD
aktualisiert vor 4 Stunden
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Kürzlich wurde in Sevelen ein erstaunlich gut erhaltenes Teilstück des mutmasslichen Seveler Freiheitsbaums von 1798 wiederentdeckt. Dieses Relikt aus der Geburtsstunde der politischen Freiheit in der Region ist in Vergessenheit geraten und galt als verschollen. Dessen Bedeutung als regionales Zeitzeugnis ist umso höher zu gewichten, als aus anderen Landesgegenden nichts Vergleichbares bekannt ist.

«Aus meiner Jugendzeit vermochte ich mich vage zu erinnern, dass in unmittelbarer Nähe meines Elternhauses an der Histengass in einem alten Stall ein Freiheitsbaum ‹aus der Franzosenzeit› erhalten geblieben, der später in den Besitz der Gemeinde übergegangen und im Zinslihof eingelagert worden sei», schreibt Autor Werner Hagmann.

Bernhard Buchmann, der in die damalige Rettungsaktion etwa Ende der 1970er-Jahre involviert war, bestätigte denn auch den damaligen Aufbewahrungsort in der gemeindeeigenen Liegenschaft. Allerdings war zu befürchten, dass dieses einzigartige kulturhistorische Objekt im Laufe der Jahrzehnte aus Unkenntnis einer «Aufräumaktion» zum Opfer gefallen sein könnte.

Relikt ist Zeuge einer bewegten Zeit

Umso erfreulicher sei es gewesen, als die Gemeinde auf entsprechende Nachfrage hin das Relikt aus der Zeit der Befreiung Werdenbergs von der jahrhundertelangen drückenden Glarner Untertanenherrschaft tatsächlich am vermuteten Ort aufgefunden hat. Der Augenschein vor Ort förderte ein mit etwa 6,4 Metern Länge relativ grosses Teilstück des einstigen Freiheitsbaums zutage. Die mehrfarbige Bemalung des achtkantig zugerichteten Baumstammes sei noch gut erhalten. Einkerbungen deuten auch eine spätere Zweitverwendung hin, etwa als Balken.

...  Später angebrachte Aussparungen lassen auf eine Zweitverwendung schliessen.
Die Bemalung des wiederentdeckten Teilstücks des Freiheitsbaums ist erstaunlich gut erhalten geblieben...

Im Stall der Liegenschaft Histengass 77 («Hopma Martis Huus») waren bis vor rund zehn Jahren noch zwei weitere Teilstücke eines Freiheitsbaums eingebaut – eines davon ist bis heute erhalten geblieben. Dass diese Fragmente Teile des gleichen Freiheitsbaums waren, lässt sich zumindest vermuten.

Baum war beim Dorfbrunnen aufgerichtet

Nikolaus Senn, Verfasser der «Werdenberger Chronik» (1860/62), weiss Näheres zum Seveler Freiheitsbaum zu berichten: «Als die Sevler eine Tanne ins Thal herunterschafften, ritt Hauptmann Joh. Georg Geiger [Giger] auf einem Rösschen, das er von Uli Saxer entlehnt hatte, und dessen Schweif mit einem Kranze und Bändern geziert war, immer einige Schritte voraus und kommandierte. Der Baum wurde zierlich ausgerüstet und beim Dorfbrunnen, beim rothen Haus, aufgerichtet.» Er stand also mitten im Dorfzentrum. Senn beschreibt den Standort aus der Perspektive seiner Zeit um 1860: Das Rote Haus und spätere Rathaus wurde erst 1805 von Bartholomäus Litscher erbaut, also sieben Jahre nach der Aufrichtung des Freiheitsbaumes.

Auch zur Gestaltung des Baumes äussert sich Senn: «Der Stamm war achtkantig; die Tafel war gross wie ein Tisch; weiter oben war eine grosse, hübsche Fahne; der Aestebusch trug hübsche Bänder, Kränze und eine Freiheitskappe.» Allerdings macht Senn keine Angaben zum Text auf der offenbar erstaunlich grossen Tafel.
Spannend ist Senns Hinweis, der «bemalte Stamm» sei «jetzt [also um 1860 herum] noch zu sehen». Damit ist belegt, dass das Freiheitssymbol die unmittelbare Revolutionszeit um mindestens sechs Jahrzehnte überlebt haben muss. Wo das Relikt damals aufbewahrt wurde, verrät Senn aber nicht.

Ist es ein Original oder doch nur eine Kopie?

«Auch wenn man in der ersten Begeisterung über den wiederentdeckten Freiheitsbaum gar nicht daran denkt, kommt man doch nicht um die Frage herum, ob dieser tatsächlich aus dem Jahr 1798, dem für die Entwicklung der Schweiz zum modernen demokratischen Rechtsstaat so entscheidenden Revolutionsjahr, stammt», schreibt Hagmann.

Im Sommer 1898 wurde im Rahmen einer «Centenarfeier» der «Befreiung Werdenbergs von der Herrschaft des eidgen. Standes Glarus» vor hundert Jahren gedacht. Vieles spreche dafür, dass für dieses im Graben (Buchs) nahe vom Werdenbergersee aufgeführte Freiluftfestspiel ein Replikat eines Freiheitsbaums angefertigt worden ist. Ist diese Nachbildung später möglicherweise in der erwähnten Seveler Scheune gelandet? Dies scheint nicht ganz abwegig, ist aber keineswegs belegt.

Gewissheit würde einzig eine dendrochronologische Untersuchung des geschichtsträchtigen Holzstücks bieten – nur so lässt sich nämlich bestimmen, ob der Baum tatsächlich wie mündlich überliefert um 1798 oder erst in späterer Zeit gefällt worden ist. Ein eindrückliches Zeugnis für den Weg unserer Region zur politischen Freiheit bleibt der wieder aufgefundene Freiheitsbaum so oder so.

Ein Hintergrundbeitrag zum Thema erscheint im Jahrbuch «Unser Rheintal» 2026. Online einsehbar ist der Beitrag zudem auf https://www.edition-wgl.ch/publikationen/.