«Vielfalt ist Sicherheit»: Sortenerhaltung bei Pflanzen ist die Mission von Pro Specie Rara | W&O

03.02.2022

«Vielfalt ist Sicherheit»: Sortenerhaltung bei Pflanzen ist die Mission von Pro Specie Rara

Nicole Egloff von der Stiftung Pro Specie Rara vermittelte in der Bibliothek Buchs Wissen zur Saatgut-Vermehrung.

Von corinne.hanselmann
aktualisiert am 28.02.2023
Innovativer und offener sein für die Bevölkerung von Buchs und der Region, das hat sich die Bibliothek Buchs vor rund zwei Jahren vorgenommen. In der Zwischenzeit starteten die Verantwortlichen unter anderem ein Hochbeetprojekt und eröffneten eine Saatgut-Bibliothek. Ausserdem organisiert die Bibliothek regelmässig Workshops zu verschiedenen Themen. So auch vergangene Woche, als Nicole Egloff von der Stiftung Pro Specie Rara zu Besuch war und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Wissenswertes über die Vermehrung von Saatgut vermittelte. Vor dem Workshop stand die Fachfrau dem W&O Red und Antwort.

Vermehrung der Samen für den Erhalt der Sorten

Gärtnern liegt voll im Trend.
Das spüren wir schon länger, aber während der Coronapandemie hat es sich noch einmal verstärkt. Die Menschen wollen sich zu Hause beschäftigen.
Das sagt Nicole Egloff. Sie ist Medienverantwortliche bei Pro Specie Rara, ist selber begeisterte Hobbygärtnerin und betreibt im privaten Rahmen Samenbau. Ausserdem betreut sie einige Sorten für Pro Specie Rara – der 1982 gegründeten Stiftung für die kulturhistorische und ge­netische Vielfalt von Pflanzen und Tieren. «Die Sortenerhaltung ist unsere Mission», erklärt die Mitarbeiterin der Stiftung. Über 4700 Pflanzensorten – von Ackerpflanzen über Beeren, Gemüse, Kartoffeln, Kräutern, Obst, Reben bis hin zu Zierpflanzen – befinden sich in der Obhut von Pro Specie Rara. Rund 1800 Sortenbetreuerinnen und -betreuer erhalten diese.
 Pro Specie Rara setzt sich ein für genetische Vielfalt.
Pro Specie Rara setzt sich ein für genetische Vielfalt.
Bild: Pro Specie Rara
Nur wenn die verschiedenen Bohnen-, Tomaten- oder Getreidesorten regelmässig angebaut und keimfähiges Saatgut aufbewahrt wird, bleiben die Sorten erhalten. Um wichtiges Wissen dazu weiterzuvermitteln, bietet Pro Specie Rara seit vielen Jahren Samenbaukurse an. Weil in letzter Zeit in einigen Schweizer Bibliotheken sogenannte «Seed Librarys» eingerichtet wurden, also «Tausch-Ecken für Saatgut», hat Nicole Egloff beschlossen, mit einem Workshop auf Tour zu gehen.
Wir kommen so an ein neues Publikum heran.

Warum ist Sortenvielfalt wichtig?

«Vielfalt ist Sicherheit», erklärt Nicole Egloff. «Je grösser der Genpool ist, auf den wir auch für neue Züchtungen zurückgreifen können, desto grösser ist die Chance, dass darin Eigenschaften enthalten sind, die mit neuen Bedürfnissen umgehen können.» Das kann beispielsweise das wärmere Klima sein oder eine neue Krankheit. «Wenn alles sehr eng gezüchtet wird, geht viel verloren.»

Sorte passt sich über die Jahre an den Garten an

Samen zu vermehren, sei je nach Art nicht so einfach, wie man sich das vorstelle, sagt die Fachfrau Nicole Egloff.
Wenn man langfristig Freude haben möchte an einer Sorte, gehört ein wenig Wissen dazu.
Wer selber Saatgut vermehrt, hat verschiedene Vorteile: Wer beispielsweise an eine Tomaten- oder Bohnensorte herankommt, die nicht so gängig ist, und sie selber vermehrt, kann sie ab diesem Zeitpunkt immer wieder anpflanzen, ohne Setzlinge oder Saatgut suchen zu müssen. Als grossen Vorteil nennt Nicole Egloff auch die Tatsache, dass man sich über die Jahre eine an den Standort angepasste Gartensorte züchten kann.
Wenn ich beispielsweise eine Salatsorte immer wieder vermehre und eine sorgfältige Selektion mache – also immer die schönsten Pflanzen blühen lasse – dann passt sich die Sorte mit der Zeit perfekt an die Bedingungen vor Ort an.
Zudem gewinnt man, wenn man selber Saatgut vermehrt, ein Stück weit Unabhängigkeit von den wenigen grossen Saatgut-Konzernen, die den Markt beherrschen und vor allem Sorten anbieten, die Profit bringen.
 Hier entstehen Samen: Der Blütenstand einer Zwiebel.
Hier entstehen Samen: Der Blütenstand einer Zwiebel.
Bild: Corinne Hanselmann
Natürlich spart man auch Geld, wenn man keine Samen oder Setzlinge kaufen muss. Im Gegenzug benötigt man etwas Zeit – je nach Pflanzenart mehr oder weniger. «Bei Tomaten ist die Vermehrung nicht so aufwendig, weil man lediglich aus der reifen Frucht die Samen entnehmen muss», so Nicole Egloff. Bei anderen Arten wie Salat wird der Platz im Garten länger blockiert, weil man die Pflanzen nicht einfach ernten kann, sondern sie wachsen lässt, bis sie blühen und die Samen reifen. Wer Saatgut vermehren möchte, muss dies also bei der Gartenplanung berücksichtigen.

Fremdbefruchtende Arten sind komplizierter

Die einfachsten Arten für die Vermehrung sind Selbstbefruchter wie Salat, Tomaten, Bohnen und Erbsen. Auf diese vier ist Nicole Egloff im Workshop näher eingegangen. Und von welchen Arten sollten der Hobbygärtner und die Hobbygärtnerin besser die Finger lassen?
Fremdbefruchtende Arten wie zum Beispiel Zucchetti oder Gurken sind aufwendiger in der Vermehrung, weil es leicht zu Verkreuzungen kommt. Hier ist eine Handbestäubung angezeigt.
Auch Rüebli gehören zu den komplizierteren Kandidaten, weil sie zweijährig sind und mit Wilden Möhren verkreuzen können. «Alles ist lösbar, aber mit Aufwand verbunden», so Nicole Egloff. Gar nicht für die Vermehrung geeignet sind Hybridsorten, die auf der Samentüte meist mit F1 gekennzeichnet sind. Sie sind so gezüchtet, dass sie nicht in gleichbleibender Qualität vermehrt werden können.
 Mit samenfesten Sorten ist man auf der sicheren Seite.
Mit samenfesten Sorten ist man auf der sicheren Seite.
Bild: Pro Specie Rara
Auf der sicheren Seite sei man mit samenfesten Sorten. Gewusst wie, kann aus ihnen Saatgut gewonnen werden, aus dem Pflanzen wachsen, welche dieselben Eigenschaften haben wie deren Elternpflanzen. Das Pro-Specie-Rara-Logo auf Samentüten bürgt für Samenfestigkeit und auch beim Einkaufen von Saatgut bei Sativa Rheinau oder Zollinger ist man auf der sicheren Seite, weiss Egloff.

Selber Sorten betreuen

Wer mindestens den zweieinhalbstündigen Samenbaukurs von Pro Specie Rara besucht hat (es gibt auch noch einen viertägigen Kurs), kann ehrenamtliche Sortenbetreuerin oder Sortenbetreuer werden. Sie erhalten von Pro Specie Rara Saatgut, bauen die gefährdeten Sorten im eigenen Garten an, ernten schliesslich deren Samen und schicken diese an die Samenbibliothek von Pro Specie Rara zurück. Weitere Infos unter www.prospecierara.ch/sorten-retten.

Naturprojekte in Vorbereitung

 Ein umgebauter Kaugummi-Automat.
Ein umgebauter Kaugummi-Automat.
Bild: Corinne Hanselmann
Demnächst wird vor der Bibliothek Buchs ein «Bienenfutter-Automat» aufgestellt. Gegen Einwurf einer Münze erhält man aus dem umgebauten Kaugummi-Automaten Pflanzensamen in einer Papiertüte. «Im Sommer möchten wir in der Bibliothek ausserdem wieder Workshops für Kinder anbieten, in denen Samenbomben gebastelt und Bohnensetzlinge gezogen werden», sagt Bibliotheksleiterin Theres Schlienger.