Weiterbildung als Chance für Working Poor und Sozialämter | W&O

Sozialtipp 24.10.2023

Weiterbildung als Chance für Working Poor und Sozialämter

Wenn Working Poor am sozialhilferechtlichen Existenzminimum leben, ist der Grund vielfach der, dass keine erstmalige berufliche Ausbildung oder eine marktgerechte Weiterbildung vorhanden ist. Entsprechend schwierig ist es, eine gut bezahlte Arbeitsstelle zu finden.

Von Lorenz Bertsch*
aktualisiert am 24.10.2023
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Die Caritas St. Gallen-Appenzell unterstützt in diesem Sinne und finanziert Weiterbildungen wie zum Beispiel einen Kurs als Pflegehelferin oder Pflegehelfer des schweizerischen Roten Kreuzes. Durch die Finanzierung solcher Weiterbildungen konnten wir schon einige Working-Poor-Familien insofern unterstützen, dass sie ein Zweiteinkommen generieren und somit aus der Armutsfalle ausbrechen konnten.

Kein Sozialhilfebezug mehr nötig

Es wäre entsprechend sehr sinnvoll und für alle Seiten gewinnbringend, wenn dieser Ansatz auch in der Sozialhilfe angewendet würde. Die Investition in Weiterbildung für Menschen, welche Sozialhilfe beziehen, ist im Vergleich zu den langfristigen Einsparungen, im Sinne eines Returns on Investment, absolut marginal.

Rechnungsbeispiel: Eine Einzelperson kostet die Gemeinde pro Jahr zirka 21'500 Franken Sozialhilfe für die Miete und den Grundbedarf gemäss KOS-Richtlinien. Würde die Gemeinde zum Beispiel einen Kurs Pflegehelfer/-in des Schweizerischen Roten Kreuzes oder einen Staplerkurs finanzieren, kostet das die Gemeinde zirka 2500 bis maximal 5000 Franken.

Dies zeigt auf, dass eine Investition in Weiterbildung sehr sinnvoll ist und sowohl die Sozialhilfequote als auch die Ausgaben der Gemeinden stark gesenkt werden könnten. Auf Deutsch gesagt eine «Milchbüechlirechnung», welche auch ein bisschen Mut, Risikobereitschaft und Innovation benötigt.

Erfahrungen aus der Praxis

Leider zeigt sich in der Praxis, dass viele Gemeinden hier sehr zurückhaltend sind und eher auf Repressalien setzen. Anstatt gemeinsam Lösungen und Wege zu suchen, werden die Personen in Arbeitsprogramme abgeschoben, nicht nachvollziehbare Kürzungen vorgenommen und Drohungen ausgesprochen. Langfristig und finanziell gesehen, ist dies sicher keine Lösung. Fakt ist, dass die Menschen so länger in der Sozialhilfe verweilen und entsprechend Mehrkosten für die Gemeinden entstehen.

Einsparungen von bis zu 15 Millionen Franken

Im Kanton St. Gallen haben im Jahr 2021 insgesamt 10 311 Personen Sozialhilfe bezogen. Davon sind über 3000 Kinder betroffen. Bei den verbleibenden rund 7000 Personen gibt es auch Fälle, bei welchen IV-Abklärungen oder Krankentaggeld-Klärungen laufen, sprich die IV/KGT nicht zahlt und die Sozialhilfe als Zwischenlösung einspringt. Der grösste Teil sind aber Personen, welche reine Sozialhilfe beziehen. Hier müsste angesetzt werden.

Eine Erhebung bei 20 Sozialämtern des Kantons St. Gallen hat ergeben, dass etwa 70 Prozent der Personen, die Sozialhilfe beziehen, kein selbstständiges Einkommen mehr generieren und ausgesteuert sind bzw. infolge fehlender erstmaliger beruflicher Ausbildung Schwierigkeiten haben, eine Arbeitsstelle zu finden. Bei diesen rund 5000 Personen (70 Prozent von 7000 Erwachsenen) könnte angesetzt werden.

Wenn nur ein Drittel davon wieder in den Arbeitsprozess integriert werden könnte, indem sie eine Weiterbildung absolvieren, wäre das ein enormes Einsparpotenzial von bis zu 15 Millionen Franken pro Jahr. Die Sozialhilfequote könnte durch diese Massnahmen nochmals stark gesenkt werden.

* Lorenz Bertsch ist Leiter Regionalstelle Sargans, Bereichsleitung Sozial- und Schuldenberatung CSA

Caritas Regionalstelle Sargans
Telefon 081 725 90 20
l.bertsch@caritas-stgallen.ch