Wenn «Enkel Rudolph» in Geldnot ist: Was Bankangestellte tun, wenn sie einen Betrugsfall vermuten | W&O

25.07.2022

Wenn «Enkel Rudolph» in Geldnot ist: Was Bankangestellte tun, wenn sie einen Betrugsfall vermuten

Banken setzen viel daran, Betrugsfälle zu vermeiden. Trotzdem gelingt es Tätern immer wieder, mit erfundenen Geschichten grosse Geldbeträge zu ergaunern.

Von Corinne Hanselmann
aktualisiert am 23.03.2023

Falsche Polizistin ergaunert 34'000 Franken, 85-Jährige übergibt Betrügern 15'500 Franken, Ehepaar um 60'000 Franken betrogen – solche und ähnliche Schlagzeilen liest man immer wieder. Letztere ist wenige Tage alt. Vergangene Woche haben sich gemäss einer Mitteilung der Kantonspolizei St. Gallen Unbekannte bei einem 67-jährigen Mann aus St. Gallen telefonisch gemeldet und sich als Polizistin bzw. als Staatsanwältin ausge­geben. Sie gaukelten dem Mann vor, seine Schwiegertochter sitze in Untersuchungshaft. Gegen Bezahlung einer Kaution könne sie das Gefängnis verlassen. Die Betrügerinnen konnten den Mann und seine 68-jährige Ehefrau dazu bewegen, in einem Couvert 60'000 Franken zu übergeben. In den Sozialen Medien kritisieren Userinnen und User unter solchen Meldungen häufig: «Warum gibt die Bank so viel Geld raus ohne Nachzufragen?» oder «Die Bank hätte reagieren müssen». Der W&O hat bei der Raiffeisenbank Werdenberg und bei der St. Galler Kantonalbank nachgefragt, ob und wie Mitarbeitende in Verdachtsfällen reagieren.

Nachfragen, wenn Kunden nervös oder unsicher wirken

«Wir sensibilisieren unsere Kundenberaterinnen und Kundenberater regelmässig für dieses Thema», sagt Adrian Kunz von der Medienstelle der St. Galler Kantonalbank (SGKB).

Bei Anzeichen für einen Betrugsfall empfehlen wir unseren Mitarbeitenden, die Kundin oder den Kunden in ein Beratungszimmer zu bitten und direkt auf den Verdacht anzusprechen.

Die Mitarbeitenden machen die Kundschaft darauf aufmerksam, dass es solche Betrugsfälle gibt und erklären, wie das jeweils abläuft. Sie haben zudem die Möglichkeit, im Zweifelsfall interne Fachstellen der SGKB zu kontaktieren. Gemäss Adrian Kunz fragen Bankangestellte im Verdachtsfall auch nach, wofür so viel Bargeld benötigt wird und warum der Kunde oder die Kundin den Betrag nicht überweist. «Die Mitarbeitenden können auch anbieten, selber beim ange­blichen Empfänger des Geldes anzurufen.» Oder aber sie schlagen der Kundschaft vor, sich an die Polizei zu wenden oder allenfalls das Familienmitglied, das sich gemäss Betrügern in U-Haft befindet, einen Unfall hatte oder Geld benötigt, direkt zu kontaktieren. Adrian Kunz sagt weiter:

Eine weitere Möglichkeit ist, die Herausgabe des Geldes zu verzögern und den Kunden zu bitten, am nächsten Tag nochmals vorbeizukommen.

Dank der Intervention von SGKB-Mit­arbeitenden hätten schon mehrere Betrugsfälle verhindert werden können, so der Mediensprecher.

Limiten sind kein Schutz für solche Situationen

Wenn eine Kundin oder ein Kunde aber auf die Auszahlung der Ersparnisse besteht, könne die Bank dies nicht verweigern. Zwar gibt’s für manche Konten eine Bezugslimite von beispielsweise 20'000 Franken pro Monat. Für höhere Beträge besteht eine Kündigungsfrist. Unter gewissen Umständen kann diese jedoch umgangen werden. «Diese Limite ist somit kein Schutz für solche Situationen», so Kunz. Die Polizei von sich aus direkt einzuschalten, komme für die Bank nur bei sehr klaren Hinweisen auf Trickbetrug in Frage, da dies wegen des Bankkundengeheimnisses heikel sei.

 Beim Abheben von grösseren Bargeldbeträgen stellen Banken Fragen.
Beim Abheben von grösseren Bargeldbeträgen stellen Banken Fragen.
Bild: Corinne Glanzmann

Nachfrage über Verwendung wird klar begründet

Auch bei der Raiffeisenbank (RB) Werdenberg setzt man alles daran, Betrugsfälle bei Kundinnen und Kunden zu vermeiden, heisst es auf Anfrage des W&O. «Die RB Werdenberg verfügt dabei über ein standardisiertes Vorgehen und sensibilisiert die Mitarbeitenden wöchentlich über aktuelle Betrugsmaschen», erklärt Andreas Eggenberger, stellvertretender Vorsitzender der Bankleitung und Sicherheitsbeauftragter der RB Werdenberg. Petra Kuratli, Leiterin der Privatkundenberatung bei der RB Werdenberg, sagt:

Möchte eine Kundin oder ein Kunde einen grösseren Bargeldbetrag abheben, so wird aus Sicherheitsgründen höflich, aber bestimmt nach dem Zweck des Bargeldbezugs gefragt.

«Dieses Nachfragen wird immer klar begründet und die Kunden werden über aktuelle Betrugsmaschen informiert. Zudem werden Alternativen wie Überweisung oder Bezahlung via Vergütungsauftrag aufgezeigt.»

Täterschaft könnte den Bankbesuch beobachten

Weisen Kundinnen und Kunden beim Verwendungszweck auf eine Bekanntschaft oder Familienmitglieder hin, so werden vertiefter Fragen gestellt, weil dies mögliche Indizien für einen Betrugsfall sind. «Auch eine angebliche kurzfristige Notlage einer nahestehenden Person kann auf einen Enkeltrick hinweisen», so Petra Kuratli. «Kann die Kundin oder der Kunde keine plausible Begründung für den Bargeldbezug abgeben und besteht Verdacht auf einen Betrug, so wird die Kundschaft in ein Besprechungs­zimmer gebeten, weil die Täterschaft das mutmassliche Opfer ausserhalb der Bank am Schalter beobachten könnte», erklärt sie das weitere Vorgehen in einem Verdachtsfall. Kann die Kundschaft vom Beratenden überzeugt werden, dass sie möglicherweise in einen Betrugsfall verwickelt ist und Opfer werden könnte, wird die Polizei informiert. «Die Mitarbeitenden haben bei schwierigen Gesprächen immer die Möglichkeit, einen Vorgesetzten oder den Sicherheitsverantwortlichen unserer Bank beizuziehen», so Kuratli.

Warnhinweis wird protokolliert

Wenn sich der Kunde oder die Kundin trotz aller Bemühungen nicht vom Vorhaben der sofortigen Auszahlung abbringen lässt, so muss er/sie dies bei der RB Werdenberg vorgängig schriftlich bestätigen. «Es wird protokolliert, dass der Kunde oder die Kundin informiert und gewarnt wurde, eine Vermutung auf Betrug besteht und dennoch eine sofortige Auszahlung gewünscht wird», sagt die Leiterin der Privatkundenberatung.

Wenn «Enkel Rudolph» ein Betrüger ist

«Wir konnten glücklicherweise bereits mehrere Kundinnen und Kunden vor Betrügen verschonen», weiss der Sicherheitsbeauftragte Andreas Eggenberger. Er schildert den Fall einer Kundin der RB Werdenberg:

Der Betrüger hat die Kundin tele­fonisch kontaktiert und sie zunächst erraten lassen, wer er sei. Die Kundin fragte, ob er der vermisste Enkel Rudolph* sei. Der Betrüger bestätigte diese Aussage und konnte so Vertrauen herstellen. Danach führte das eine zum anderen.

Der Betrüger erklärte seiner «Grossmutter», dass er sich in einer finanziellen Notlage befände und Hilfe seiner Familie benötige. Das Geld könne er aber nicht selber abholen, sondern er werde einen Boten schicken. «Die Kundin willigte ein und sprach anschliessend mit der Bitte eines hohen Bargeldbezugs bei uns vor. Aufgrund unseres Sicherheitskonzepts konnten wir glücklicherweise die Kundin von diesem Betrug verschonen», so Eggenberger.

Betrug auch via Bancomat, E-Banking oder Zahlungsauftrag

Leider gab es aber auch schon Kunden der Raiffeisenbank Werdenberg, welche auf eine Betrugsmasche hereingefallen sind. «Bei diesen fand aber nie ein persönlicher Kontakt mit einer Beraterin oder einem Berater der Bank statt. Hier handelte sich um Zahlungen, welche online und selbstständig durch unsere Kundschaft via Bancomat, E-Banking oder Zahlungsauftrag stattgefunden haben», so Andreas Eggenberger. * Name geändert «Unterschätzen Sie nie die Macht der Manipulation» Telefonbetrug kennt keine Grenzen, schreibt die Schweize­rische Kriminalprävention in einem Flyer mit dem Titel «Bei Anruf ... Betrug!». Die Betrüger und Betrügerinnen werden immer dreister. Sie geben sich als Verwandte oder Bekannte aus, manchmal sogar als Polizistinnen oder Polizisten und versuchen mit verwirrenden und beängstigenden Geschichten das Vertrauen der Opfer zu gewinnen – und damit ihr Geld. Der grösste Irrglaube sei: «Mir kann so etwas nicht passieren.» Soziale Verantwortung, Hilfsbereitschaft und der Glaube an das Gute im Menschen sind sicher gute Eigenschaften, doch leider auch solche, die besonders anfällig machen für Trickbetrug: Denn es werden nicht nur die naiven, weltfremden oder dementen Menschen zu Opfern, sondern gerade auch solche, die mit beiden Beinen im Leben stehen. Betrüger bauen innerhalb kurzer Zeit grossen psychischen Druck auf und lösen ein Gefühl der Verpflichtung zur Hilfeleistung aus. «Un­terschätzen Sie niemals die Macht der Manipulation», warnt die Schweizerische Kriminalprävention. Die interkantonale Fachstelle rät: «Wenn ein angeblicher Polizist oder eine angebliche Polizistin Sie anruft und dazu bringen will, grössere Geldsummen abzuheben, jemandem zu übergeben oder irgendwo zu deponieren, dann müssen bei Ihnen sofort alle Alarmglocken klingeln. Mit dem Ausfragen Ihrer Bankguthaben versuchen die Täter, sich ein Bild darüber zu machen, ob Sie ein lohnendes Ziel sind. Verhindern Sie den Betrugsversuch, indem Sie das Gespräch sofort beenden und bei der Polizei über die Notrufnummer 117 erzählen, was passiert ist. (pd)