Zwischen heiler Welt und Wildwest: So präsentiert sich die Situation in den Werdenberger Schulen | W&O

27.01.2023

Zwischen heiler Welt und Wildwest: So präsentiert sich die Situation in den Werdenberger Schulen

Drohungen, Beschimpfungen, Gewalt: Sie gehören nicht zum Schulalltag, nehmen aber tendenziell zu, wie eine Umfrage des W&O zeigt.

Von armando.bianco
aktualisiert am 28.02.2023
Der Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) hat vor einigen Tagen eine Untersuchung zu Gewalterfahrungen von Lehrpersonen in der Deutschschweiz publiziert. Mitgemacht haben rund 6800 Personen. Zwei Drittel der Lehrpersonen geben an, in den letzten fünf Jahren verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein, darunter Demütigungen und Beschimpfungen, Faustangriffe und Knochenbrüche.

Kein Drama, aber auch keine Bagatelle

Eine Umfrage des W&O bei den Schulen der sechs Werdenberger Gemeinden zeigt: Angriffe und Drohungen, die weitab von Tolerierbarem sind oder den Einbezug der Polizei auslösen, gibt es als Einzelfälle. Die verbalen Umgangsformen werden teils als rauer wahrgenommen, im Grossen und Ganzen wird die Situation nicht dramatisiert, aber auch nicht bagatellisiert.
 Rund zwei Drittel des Lehrpersonals in der Schweiz hat gemäss einer Umfrage schon einmal verbale oder körperliche Gewalt erlebt.
Rund zwei Drittel des Lehrpersonals in der Schweiz hat gemäss einer Umfrage schon einmal verbale oder körperliche Gewalt erlebt.
Bild: Salvatore Di Nolfi/Keystone
Bruno Seifert, Schulratspräsident in der Gemeinde Wartau, formuliert in seinen Gedanken einen interessanten Nebenaspekt: «Ich würde vom schwindenden Respekt in der Gesellschaft reden. Denn das, was Kinder an ‹Gewalt ausüben› ist nur das, was sie irgendwo abschauen oder in ihrem Umfeld bagatellisiert wird.» Von körperlicher Gewalt ist ihm kein Fall bekannt. Verbale Gewalt gegen Lehrpersonen bilde in Wartau die sehr seltene Ausnahme.
 Erkennt schwindenden Respekt in der Gesellschaft: Bruno Seifert, Schulratspräsiden in Wartau.
Erkennt schwindenden Respekt in der Gesellschaft: Bruno Seifert, Schulratspräsiden in Wartau.
Bild: PD

Mühe mit Vorgaben

In eine ähnliche Richtung zielen auch die Worte von Michael Derungs, stellvertretender Schulratspräsident in Sevelen: «In der Primarstufe sind es in erster Linie Eltern, welche das Problem darstellen.» Betroffene könnten oft nicht damit umgehen, dass es ein offizielles «Organ» gibt – damit meint er die Schule – welches ihnen und ihren Kindern Vorgaben macht.
Diese Eltern möchten, dass die Schule nach ihren Vorstellungen läuft, entsprechend heftig sind dann auch die Reaktionen.
Michael Derungs würde sich wünschen, dass diese Eltern sich hinterfragen, ob sie ihre Mitwirkungspflicht und ihre Erziehungsaufgabe wahrnehmen. In der Oberstufe gebe es weniger Konflikte mit Eltern. «Da sind es eher die Schülerinnen und Schüler, welche die Gepflogenheiten der eigenen Eltern weitertragen.»

Wichtige Präventionsarbeit

Laila Roduner, Schulratspräsidentin in Sennwald, sagt: «Wenn körperliche oder verbale Gewalt in der Schule stattfindet, wird diese in den Schulhäusern bzw. einzelnen Klassen behandelt.» Präventionsarbeit werde immer wieder in Schulhäusern organisiert und behandelt, sowohl mit der Schülerschaft als auch mit dem Lehrpersonal.
 Gewalt wird in den einzelnen Klassen behandelt: Laila Roduner, Schulratspräsidentin in Sennwald.
Gewalt wird in den einzelnen Klassen behandelt: Laila Roduner, Schulratspräsidentin in Sennwald.
Bild: PD

Eltern dürfen Erwartungen haben

Matthias Wettstein, Schulratspräsident in Gams, spricht von heutzutage anspruchsvollen Eltern, die Erwartungen hätten. Das findet er aber auch gerechtfertigt, die Schule habe selbst auch Erwartungen an die Schüler- und Elternschaft. Von massiven Drohungen oder besonders schwierigen Einzelfällen, wie andernorts in der Schweiz geschildert, habe er in Gams keine Kenntnisse. Aber natürlich seien Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit Eltern und der Schülerschaft Schwierigkeiten ausgesetzt.
Die Zeiten haben sich etwas geändert. Die Jugend von heute tritt gegenüber den Lehrpersonen selbstsicherer auf.
Das Gute daran sei: Es werde nichts mehr unter den Tisch gewischt. Dass nun alles schlimmer ist als früher, entspricht nicht seiner generellen Einschätzung
 Die Jugend von heute tritt selbstsicherer auf: Matthias Wettstein, Schulratspräsident in Gams.
Die Jugend von heute tritt selbstsicherer auf: Matthias Wettstein, Schulratspräsident in Gams.
Bild: PD
Marina Lazzarini weiss als Rektorin der Schule Buchs: «Körperliche oder verbale Gewalt gegenüber Lehrpersonen sind äusserst selten.» Bei verbaler Gewalt handle es sich am ehesten um Kraftausdrücke, es gebe aber auch Drohungen und Beschimpfungen. Körperliche Angriffe passieren in Form von Tätlichkeiten.

Vorfälle in allen Stufen

Gemäss Michael Derungs gibt es verbale Anfeindungen, Drohungen, Vorwürfe der Inkompetenz und Zurechtweisungen in allen Schulstufen in Sevelen, auch er selbst sei schon direkt damit konfrontiert worden. In einem Fall einer Drohung gegenüber einer Lehrperson musste sogar die Polizei informiert werden. Anfeindungen in verbaler Form hätten zugenommen, «gerade erst letzte Woche hatten wir zwei Fälle in schriftlicher Form via Klapp». Bei Klapp handelt es sich um eine App für den Informationsaustausch zwischen Lehrpersonen, Eltern und Schülern.
Da schienen die Hemmungen gänzlich zu fallen.

Schule spürt es an vorderster Front

In Grabs gibt es laut Rückmeldung von zwei Schulleiter zwar wenige und eher kleinere Vorfälle, aber es gebe sie immer wieder. In den letzten Jahren falle vermehrt auf, dass sich Kinder immer respektloser gegenüber Erwachsenen verhalten würden. Das sei ein Abbild der Gesellschaft, deren Veränderungen man in der Schule sofort und an vorderster Front spüre. Die Rede ist von Kindern, die keine Grenzen akzeptieren würden und in geringem Mass konfliktfähig sind.
 Sie Situation in der Schule in Bezug auf Gewalt ist nicht dramatisch, aber auch keine Bagatelle.
Sie Situation in der Schule in Bezug auf Gewalt ist nicht dramatisch, aber auch keine Bagatelle.
Bild: Arthur Gamsa

Eine vermittelnde Funktion

Bei ausserordentlichen Vorfällen verfügen die Schulen in der Region Werdenberg über ein Krisenmanagement oder vorgegebene Abläufe, wie die Umfrage des W&O zeigt. Aus Sicht von Hansjürg Vorburger, Schulratspräsident in Grabs, hat die Schulbehörde eine vermittelnde Funktion, «die wir schnell und unbürokratisch wahrnehmen.» Wichtig sei, dass es gelinge, bei Eskalationen im Gespräch einen Weg des Miteinanders zu finden. Aus seiner 50-jährigen Erfahrung heraus, stellt er fest, dass es schon immer zu Konflikten verschiedenster Ausrichtung kam, sowohl physischer wie auch verbaler Art.
«Entscheidend ist und bleibt das professionelle und verantwortungsvolle Reagieren.
Die Umsetzung erfolge auf Basis eines Kommunikationskonzeptes dreistufig: Lehrperson, Schulleitung, Schulbehörde. Der Schulbehörde obliege die Hauptverantwortung, die man sehr ernst nehme.

Klar definiertes Krisenkonzept

Laut Bruno Seifert ist die Wartauer Schulführung für das Thema Gewalt sensibilisiert. «Sie pflegt den Ansatz einer frühzeitigen und im Bedarfsfall konsequenten Haltung im Falle einer Gewaltandrohung.» Man verfüge über ein Krisenkonzept welches handlungsbegleitend für die Beteiligten ist. Die Schulführung bestärke die Lehrpersonen darin, sich frühzeitig Unterstützung bei der vorgesetzten Stelle sowie auch bei schulinternen und -externen Fachstellen zu holen. Auf Vorfälle reagiert man auch in Sevelen nach einem klar definierten Krisenkonzept. Als erhellend bezeichnet Michael Derungs die offene Kommunikationskultur von den Lehrkräften bis in den Schulrat.
Das funktioniert in Sevelen sehr gut. Wir sind ein Team, das füreinander einsteht.