Bauernverband-Geschäftsführer findet: «Landwirtschaft macht vieles richtig» | W&O

10.01.2022

Bauernverband-Geschäftsführer findet: «Landwirtschaft macht vieles richtig»

Andreas Widmer aus Mosnang hört im Frühling als Geschäftsführer des kantonalen Bauernverbandes auf. Ein Rück- und Ausblick.

Von Martin Knoepfel
aktualisiert am 28.02.2023
Andreas Widmer, weshalb treten Sie als Geschäftsführer des st. gallischen Bauernverbandes zurück? Andreas Widmer: Wenn ich bis 2025 geblieben wäre, wären Präsident, Vizepräsident und Geschäftsführer im gleichen Monat zurückgetreten. Das wäre für die Nachfolge in der Verbandsleitung ungünstig. Für mich passt es so. Zudem bin ich der Ansicht, dass man mit 60 in der Führungsarbeit jüngeren Kräften Platz machen sollte. Was werden Sie in Zukunft tun? Bis Ende März 2022 bin ich Geschäftsführer und dann noch zwei Monate angestellt für die Einarbeitung des Nachfolgers. Danach werde ich bis Ende 2022 in einem kleinen Teilzeitpensum einige Projekte und den Aufbau einer Fachstelle betreuen. Daneben werde ich die Freizeit geniessen. Ab 2023 werde ich selbstständig im Unterstützungs- und Treuhandbereich arbeiten. Was werten Sie als grössten Erfolg Ihrer Tätigkeit als Geschäftsführers des Bauernverbands? Die Anforderungen ändern laufend, und es wird immer mehr reglementiert. Es  gelang dem Verband, mit seiner Politik und seinen Dienstleistungen ein gutes Umfeld für die Bauernfamilien sicherzustellen. Die Einkommen besserten sich. Der Strukturwandel war moderat. Das ist sehr wichtig. Auch bei den Dienstleistungen ist einiges gegangen. Die einzelbetrieblichen Unterstützungen wurden intensiviert. Die Begleitgruppe Tierschutz entstand. Zudem ist eine Fachstelle Umwelt/Natur im Aufbau. Das Coaching-Angebot wurde seit dem Jahr 2015 ausgebaut. Ein grosser Erfolg war die Abstimmung vom letzten Juni über die beiden Agrar-Initiativen. Die Kampagne war eine sehr grosse Belastung, aber das klare Nein zu den Initiativen im Kanton zeigte, dass die Landwirtschaft vieles richtig macht. Und was sind die schmerzlichsten Misserfolge? Die Regulierungen werden immer zahlreicher und detaillierter. Das gibt mehr Einschränkungen für die Bauern. Die Zusammenarbeit mit gewissen kantonalen Ämtern und Umweltverbänden harzt. Dabei könnte man mit einer guten Zusammenarbeit mehr erreichen. Leider sind die meisten Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung weit weg von der Praxis. Sie alle müssten mindestens ein einjähriges Praktikum machen, damit sie wissen, wie die Praxis auf einem Landwirtschaftsbetrieb aussieht. Können Sie jungen Menschen eine Ausbildung in der Landwirtschaft empfehlen? Ja, auf jeden Fall. Bauer ist ein schöner Beruf, obwohl die Herausforderungen wegen der zunehmenden Fremdbestimmung immer grösser werden. Grüne Berufe haben gegenwärtig Ausbildungszahlen wie noch nie. Die Landwirtschaft braucht gut ausgebildete Arbeitskräfte. In der Ostschweiz haben wir allerdings das Problem, dass zu wenige Personen auf eine  Fachhochschule (FH) gehen. Weshalb? Die landwirtschaftliche Fachhochschule liegt in Zollikofen bei Bern. Das schreckt viele ab. Wir haben seitens des Bauernverbandes deshalb die Idee eines FH-Standorts Ostschweiz lanciert. Wo sollte diese neue landwirtschaftliche Fachhochschule entstehen? Der Strickhof in Lindau (ZH) wäre gut geeignet und aus der Ostschweiz auch gut erreichbar. Hat sich die Einstellung der Bevölkerung zur Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren verändert, und wenn ja, wie? Sie hat sich verändert. Drei Viertel der Bevölkerung stehen hinter Landwirtschaft, ein Viertel kritisiert sie. Es wird heute mehr und kritischer kommuniziert als früher, und die Medien nehmen das auf. Ein Beispiel: Im Umfeld der Abstimmungen vom letzten Juni war keine normale Diskussion mehr möglich, denn es dominierte das Schwarz-Weiss-Denken. Die, die hinter der Landwirtschaft stehen, setzen sich aber mehr als früher mit den Nahrungsmitteln auseinander. Das ist eine Chance. Wie dürfte sich künftig die St. Galler und besonders die Toggenburger Landwirtschaft entwickeln? St. Gallen ist ein Grünlandkanton. Landwirtschaftsbetriebe mit Tierhaltung haben gute Aussichten, wenn sie Topqualität produzieren. Das gilt sowohl für die Milchproduktion als auch für die Fleischproduktion. Diese Betriebszweige eignen sich am Besten im Hügel- und Berggebiet. Einzelne Bauern müssen aber in der Lage sein, bodenunabhängig Schweine- oder Hühnerfleisch zu produzieren, denn die Konsumentinnen und Konsumenten verlangen das. So hat sich der Anteil des inländischen Pouletfleisches in zehn Jahren verdoppelt. Das A und O ist in der Zukunft die Verfügbarkeit von Land für aktive Bauern. Kleinere Betriebe werden aufgeben. Dies bietet Chancen für einen nachhaltigen Strukturwandel. Das Toggenburg entsendet keinen Bauern in den Kantonsrat, obwohl es agrarisch geprägt ist. Was ist da diesbezüglich schiefgelaufen? Das Toggenburg und das Sarganserland sind in der Tat die am stärksten agrarisch geprägten Wahlkreise, und sie stellen keinen Kantonsrat, der Bauer ist. Wil und See-Gaster haben dafür drei beziehungsweise vier bäuerliche Kantonsräte. Bei der letzten Gesamterneuerungswahlen im Jahr  2020 gab es immerhin im ganzen Kanton St. Gallen drei zusätzliche Sitze für die Landwirtschaft. Dennoch: Man findet allgemein eher wenige Bauern in öffentlichen Ämtern. Der Grund dürfte der Zeitmangel sein. Das höre ich oft. Der Zeitaufwand besonders für ein Kantonsratsmandat ist nicht zu unterschätzen. Zu den Sessionen kommen das Aktenstudium sowie die Arbeit in vorberatenden Kommissionen und in der Partei. Wichtig ist, dass bäuerliche Vertreter nicht nur aus einer Partei kommen, denn die landwirtschaftlichen Interessen müssen breit abgestützt sein.