Bei einer Lesung im Tätschdachhaus traf vergangene Lyrik auf heutige Poesie | W&O

14.11.2022

Bei einer Lesung im Tätschdachhaus traf vergangene Lyrik auf heutige Poesie

Spannende Lesung in Grabs mit Sarah Kuratle und von Gedichten der Katharina Vetsch unter dem Motto «S’ isch vu s’ Fische Drese eini».

Von Hanspeter Thurnherr
aktualisiert am 28.02.2023
Sibylle Good, Präsidentin der Kulturkommission, durfte viele Besucherinnen und Besucher zur Lesung mit Autorin Sarah Kuratle unter dem Motto «S’ isch vu s’ Fische Drese eini» im Tätschhus begrüssen, darunter mehrere aus der Familie «s’ Fische Drese». Andreas «Dachî» Eggenberger berichtete einleitend, wie es zum Kontakt mit der auf beiden Seiten des Rheins aufgewachsenen und heute in Dornbirn lebenden Autorin kam.

Suchanfrage an Andreas Eggenberg

Ein Gedichtbändchen einer Katharina Vetsch war für die damalige Studentin von Interesse. So kam via Historischer Verein der Region Werdenberg (HVW) eine Suchanfrage zu Eggenberger. Er fand es bei seinen Sachen. In Nesslau wohnte einst Sarahs Grossmutter, auf einer Fahrt zu ihren Verwandten im Toggenburg holte sie das Büchlein bei Eggenbergers ab.

Gedicht über die Zeit vor 120 Jahren

Mitorganisatorin Heidi Eggenberger – selber eine «Fische Drese» – las nun aus besagtem Bändchen das Gedicht «Eine Federzeichnung» und blendete so 120 Jahre zurück. Sie machte damit erlebbar, wie anders der Sprachstil damals war. Katharina Vetsch bezog sich in ihrem Gedicht auf eine Zeichnung des Pfarrhauses neben der damals noch kleinen Grabser Kirche.
 Die Organisatoren Sibylle Good, Andreas Eggenberger und Heidi Eggenberger (von rechts).
Die Organisatoren Sibylle Good, Andreas Eggenberger und Heidi Eggenberger (von rechts).
Als danach Andreas Eggenberger die Heimatdichterin als Vorfahrin von Sarah Kuratle vorstellen wollte, stellte Heidi Eggenberger klar: «Sie war keine vus s’ Fische Drese.» Vielmehr habe eine sie bewundernde ehemalige Schülerin gleichen Namens zum 100. Geburtstag das oben erwähnte Gedichtbändchen herausgegeben. Und diese Katharina Vetsch sei eine «vu s’ Fische Drese» gewesen. Nach der Lesung kam allerdings ein Hinweis aus dem Publikum, welche für ein «doch» sprachen. Sei’s drum!

Damals grosses Aufsehen erregt

Wie Andreas Eggenberger ausführte, war das Leben der Dichterin jedenfalls speziell. Als «uneheliches Kind» einer Pfarrersmagd geboren, was in der damaligen Zeit grosses Aufsehen erregte, wurde ihre Mutter Anna geschmäht. Die Mutter fand dann eine Arbeit in der «Werdenbergischen Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder», die vom Pfarrer gegründet worden war. Katharina konnte geschickt mit Nadel und Schere umgehen, konnte die Kurse zur Arbeitsschullehrerin besuchen und wurde «Nählehrerin» in Grabs. Ihre liebevollen Gedichte wurden später in der Lokalzeitung veröffentlicht. Dass sie aber nicht nur liebliche Lyrik schrieb, zeigte Heidi Eggenberger anhand des Gedichts «Wie gar nichts sind alle Menschen». Es nimmt Bezug zu einem gewaltigen Vulkanausbruch im Januar 1902, der im Pazifik einen Tsunami auslöste und grosse Schäden verursachte. Zurück in die Gegenwart.

Lesung aus dem Romandebüt

Sarah Kuratle, deren Grossmutter in Grabs aufwuchs, las aus ihrem Romandebüt «Greta und Jannis». Die beiden Nachbarskinder entwickeln eine Zuneigung zueinander, verlieben sich später – und können doch kein Liebespaar werden. Ein Familiengeheimnis hindert sie, denn sie sind Halbgeschwister. Jannis zieht in die Stadt, Greta bleibt in ihrer idyllischen Welt zuhinterst in einem Tal. Hier lernt sie später den neuen Nachbarn Cornelio kennen. Doch immer bleiben da die Gedanken an Jannis.

Wechsel von Gewenwart und Rückblenden

Sarah Kuratle erzählt dies in stetigem Wechsel von Gegenwart und Rückblenden, in einer bildhaften poetisch-lyrischen Sprache – und doch schnörkellos von einem Gedanken zum andern springend, die Geschichte vorwärts treibend, das Bild der Geschichte aus Worten wie ein Puzzle zusammenbauend. Die komplex angelegte Struktur, bei der die direkte Rede kursiv in den Satzfluss eingebaut ist, ist für Zuhörer etwas schwierig – und zeigt zugleich, dass der Roman aufmerksames, langsames Lesen verlangt. Ein Beispiel:
Schläfst du, Jannis. Seine Stimme verschlafen, nein ich bin wach, Greta, er stützt sich auf seine Ellbogen, schaut ihr mit verzwickten Augen ins Gesicht, du hast Brösel in den Mund­winkeln.