«Jede Mahlzeit war eine Tortur»: Autorin und Podium bringen Licht ins Dunkel der Gewalt an Frauen | W&O

02.12.2022

«Jede Mahlzeit war eine Tortur»: Autorin und Podium bringen Licht ins Dunkel der Gewalt an Frauen

Eindrückliche Lesung und spannende Podiumsdiskussion zum Thema «gegen Gewalt an Frauen» im BZBS im Rahmen der «Orange Days».

Von Hanspeter Thurnherr
aktualisiert am 28.02.2023
Im Rahmen der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen», fand im Forum des Berufsbildungszentrums in Buchs (BZBS) am Donnerstag eine Lesung und Podiumsdiskussion mit Fachleuten zum Thema «Gewalt gegen Frauen» statt. In ihrer Begrüssung sagte Nicole Buchalla vom organisierenden Soroptimist International Club Bad Ragaz:
Frauenrechte sind Menschenrechte. Unser Ziel ist es, Licht ins Dunkel der Gewalt an Frauen zu bringen.
Dies ist dem Club an diesem Abend eindrücklich gelungen.

Einschüchterungen und Drohungen während Jahren

Die Inputs gab die Luzerner Autorin Louise Hill, die aus ihrem Buch «Teufelskreis – mein bitteres Leben mit dem Zuckerbäcker» las. Während 20 Jahren erlebte sie durch ihren Mann Einschüchterungen, Verhöhnung, Drohungen, Erniedrigungen. Ein Beispiel:
Er war wieder einmal mit dem Mittagessen nicht zufrieden. Die Spaghetti bolognese – ein Gericht, das jeden Tag vermutlich millionenfach auf den Tisch kommt – flogen an die Wand. Und während die Sauce die Tapete hinablief, beschimpfte er uns, bis die Tränen flossen.
Jede Mahlzeit wurde so zur Tortur. Die ständigen Beschimpfungen «du bist nichts und kannst nichts» zerstörten das Selbstbewusstsein.
 Die Autorin Louise Hill las aus dem Buch zur ihrer Leidensgeschichte. Bilder: Hanspeter Thurnherr
Die Autorin Louise Hill las aus dem Buch zur ihrer Leidensgeschichte. Bilder: Hanspeter Thurnherr

Es gilt der Grundsatz: Wer schlägt, geht

Auf dem Podium diskutierten unter der Moderation von Petra Baumann, Opferberatungsstelle Glarus, Dionys Rohner und Manuel Niederhäuser, Kantonspolizei St. Gallen, Brigitte Huber, Opferhilfe SG-AR-AI, und O. Röllin, Frauenhaus St. Gallen. Dionys Rohner sagte:
Wir rücken in der Regel aus, wenn’s ‹chlepft›. Wenn es Hinweise auf Gewalt gibt – das Opfer muss aber sagen, was passiert ist – dann können wir handeln.
Es gelte der Grundsatz: Wer schlägt, geht. Die Polizei könne den Täter wegweisen. Manuel Niederhäuser ergänzte:
Wichtig ist, Aussagen getrennt aufzunehmen. Wir ermitteln eher als vermitteln.
Man beurteile jeweils auch die Risikofaktoren. Zum Beispiel: Machtverhältnis, Gewaltbereitschaft, sind Alkohol oder Drogen im Spiel. Aber körperliche Gewalt sei einfacher festzustellen als psychischer Druck. Brigitte Huber ergänzte: Es gebe auch wirtschaftliche Gewalt, wenn etwa der Mann der Frau das Arbeiten verbiete. Weiter sagte sie: «Anfänglich ist grosse Verliebtheit da, die guten Seiten sichtbar. Das führt später dazu, dass eine Trennung schwierig wird.» Die Manipulation durch den Mann lasse die Frau zweifeln und zugleich hoffen. Sie fühle sich schuldig, oft wegen der Kinder. Da brauche es Informationen über Schutzmöglichkeiten und die klare Haltung: Was passiert, ist nicht richtig.

Oft gehofft, dass jemand aufsteht oder fragt

O. Röllin sagte: «Wenn eine Frau zu uns ins Frauenhaus kommt, muss sie sich zuerst wieder spüren, das Selbstwertgefühl durch positives Feedback stärken können.» Louise Hill ergänzte:
Schlimm sind die Drohungen: Du kannst nicht gehen, ich finde dich. Du kannst vergessen, dass du die Kinder bekommst.
Sie habe oft gehofft, dass jemand aufstehe und sage: So nicht. Oder einfach fragt, was hast du? O. Röllin bestätigte: «Eine riesige Hilfe sind Lehrerinnen oder Schulsozialarbeiter, die fragen oder zeigen, dass sie etwas spüren.» Auch Nachbarn können die Frauen ansprechen und auf Fachstellen hinweisen. Louise Hill ergänzte:
Ohne professionelle Hilfe steht man so was nicht durch.

Auch die Männer sind in Not

Manuel Niederhäuser sagte: «Die Männer sind auch in Not, es rechtfertig zwar nicht ihr Tun, aber man muss ihre ‹Spirale› durchbrechen.» Über 95 Prozent der Männer, welche die Polizei zu einer «Ansprache» einlade, kämen zum Gespräch. Übrigens: Alle Podiumsteilnehmenden bestätigten, dass sich die Zusammenarbeit zwischen den Fachstellen und der Polizei in den vergangenen Jahren stark verbessert habe.
 Die Podiumsteilnehmenden führten eine spannende Diskussion.
Die Podiumsteilnehmenden führten eine spannende Diskussion.
Moderatorin Petra Baumann verwies auf einen anderen Punkt: «Kinder haben auch Gefühle und Bedürfnisse.» Brigitte Huber sagte dazu:
Das Bewusstsein, dass Kinder direkt betroffen sind und Hilfe brauchen, ist bei den Fachstellen gewachsen. Die Kesb wird involviert.
Louise Hill schloss ihre Lesung mit einer Sequenz, in welcher folgender Satz steht: «Ich habe das Bedürfnis, mich von ihm (dem Mann, Anm. d. Red.) zu reinigen. Leider gibt es für die Seele kein entsprechendes Mittel.» Hinweis: Ausstellung «Willkommen zu Hause» im Forum BZBS, noch bis 9. Dezember, Mo – Fr 12 – 13 und 16 – 20 Uhr, Sa 10 – 15 Uhr