Individualbesteuerung und Weltbild | W&O

Region vor 4 Stunden

Individualbesteuerung und Weltbild

Aus Sicht von Josef Dudli gibt es mit dem Systemwechsel keine Abschaffung der Heiratsstrafe, sondern eine Verschärfung der Strafe.

Von Josef Dudli, Bogenstrasse 3, 9470 Werdenberg
aktualisiert vor 4 Stunden
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«Ostschweizer Traditionalisten», Ausgabe vom 22. September

Für Tagblatt-Chefredaktor Stefan Schmid verteidigen die Ostschweizer Kantone ein konservatives Weltbild gegen die moderne Individualbesteuerung. Es gibt aber sehr wohl sachliche Gründe gegen diesen Systemwechsel.

Gemäss Verfassung hat die Besteuerung aufgrund der «wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit» zu erfolgen. Ehepaare mit einem bestimmten Gesamteinkommen müssten somit gleich besteuert werden, egal, welcher Partner wie viel dazu beiträgt. Der zweite Grund gegen die Individualbesteuerung liegt im Eherecht, wonach das Einkommen zuerst zwingend für Bedürfnisse der ganzen Familie einzusetzen ist.

Ein Alleinstehender hat seinen Lohn nur für sich, ein Ehepartner nicht. Zudem haben alle Kantone die Abschaffung der Heiratsstrafe längst gelöst. Und jetzt erhalten sie eine Lösung wider Willen. Aufgezwungen vom Bund, der seine Problemlösung jahrzehntelang verschlampte. Die Individualbesteuerung ist nur für diejenigen Ehepaare gleichwertig mit der heutigen kantonalen Lösung, deren eheliches Einkommen 50 zu 50 aufgeteilt ist. Ich gehe davon aus, dass das bei vielleicht einem Prozent aller Ehepaare zutrifft. Die anderen fahren systembedingt schlechter, am schlechtesten die Einverdiener-Ehepaare. Es stimmt nicht, dass nur reiche Ehepaare mehr zahlen müssten, sondern gerade auch Paare mit normalem Einkommen.

Die im Artikel erwähnte Zahl von lediglich 15 Prozent der Ehepaare mit höheren Steuern gilt für die Bundessteuer, nicht für Kantons- und Gemeindesteuern. Im Klartext: Trotz Abschaffung (!) der Heiratsstrafe bei der Bundessteuer zahlen 15 Prozent der Paare neu nicht weniger Bundessteuern, sondern mehr! Also keine Abschaffung, sondern eine Verschärfung der Strafe. «In einer liberalen Gesellschaft darf jeder nach seiner Façon leben. Der Staat sollte sich dabei möglichst neutral verhalten», schreibt Stefan Schmid zu Recht. Genau gegen diesen Grundsatz verstösst die Individualbesteuerung.

Die Jungen können darauf teils reagieren mit Steueroptimierung durch Arbeitsteilung. Nicht mehr reagieren können die Rentnerpaare, deren vorwiegend traditionelles Berufsleben unumkehrbar vorbei ist. Steuerlich bestraft würden sie dafür trotzdem weiterhin. Während die AHV an Mann und Frau ausbezahlt wird, ist das bei der Pensionskasse nicht so. Da geht der Löwenanteil der Renten bei den meisten formell an den Mann. Rentnerpaare würden steuerlich massiv benachteiligt.

Bestraft würden zudem ausgerechnet alleinerziehende Mütter! Denn diese erhalten heute bei Kantons- und Gemeindesteuern zwingend denselben Steuertarif wie Ehepaare, vorgeschrieben durch Bundesrecht. Da dieser Ehepaartarif durch die neue Regelung künftig ja wegfällt, bedeutet das eine happige Steuererhöhung ausgerechnet für Alleinerziehende. Die Tagblatt-Chefredaktion könnte etwas gelassener sein. Denn es geht ja nur um ein Referendum, also um eine Volksabstimmung. Ohne Ständemehr! Das ist Demokratie!

Josef Dudli, Bogenstrasse 3, 9470 Werdenberg