Naturgenuss auf Kosten der Wildtiere: Wintersportler missachten Wildruhezonen | W&O

20.12.2022

Naturgenuss auf Kosten der Wildtiere: Wintersportler missachten Wildruhezonen

Bei Kontrollen ertappt die Wildhut immer wieder Wintersportler, die trotz Verbot wichtige Rückzugsorte von Wildtieren betreten.

Von corinne.hanselmann
aktualisiert am 28.02.2023
Der für das Werdenberg zuständige Wildhüter Sepp Koller ist unterwegs auf einer Kontrolltour im Gebiet Gamperfin. Das Hochmoor am Grabserberg ist beliebt bei Wanderern und Schneeschuhläufern. Immer wieder lässt der Wildhüter seinen Blick über die Schneedecke schweifen. Heute entdeckt er – zum Glück – nur Spuren von Tieren wie Hirschen oder Hasen. Das ist nicht immer so. Sepp Koller:
Im Gebiet Gamperfin haben wir das Problem, dass immer wieder Schneeschuhläufer die Wildruhezone betreten.
Das ist verboten, denn seit 2001 besteht hier eine rechtsverbindliche Wildruhezone mit ganzjährigem Weggebot.

Wer auf frischer Tat erwischt wird, erhält eine Busse

Doch um solche Übertretungen mit einer Ordnungsbusse von 150 Franken büssen zu können, muss man die Person auf frischer Tat ertappen.
 An einladenden Stellen sind auffällige Schilder platziert, die auf die Wildruhezone hinweisen. Trotzdem kommt es regelmässig zu Übertretungen.
An einladenden Stellen sind auffällige Schilder platziert, die auf die Wildruhezone hinweisen. Trotzdem kommt es regelmässig zu Übertretungen.
Bild: Corinne Hanselmann
Deshalb führen die kantonalen Wildhüter in Zusammenarbeit mit Naturschutzaufsehern der Gemeinde und der Gemeindepolizei regelmässig Kontrollen durch. Insbesondere an schönen Wochenenden, stichprobenartig auch unter der Woche. Nicht nur im Gebiet Gamperfin wird kontrolliert, sondern beispielsweise auch in Skigebieten. Dort unterstützt in der Regel auch jemand von den Bergbahnenbetreibern die Kontrolleure.
 An diesem Tag entdeckte der Wildhüter nur Tierspuren – zum Glück.
An diesem Tag entdeckte der Wildhüter nur Tierspuren – zum Glück.
Bild: Corinne Hanselmann
«Im Winter sind wir häufig zu dritt oder viert unterwegs, je nach Geländegegebenheiten mit Skis, Tourenskis oder Schneeschuhen, und richten bei einer Wildruhezone mehrere Kontrollpunkte ein. Dass wir dabei niemanden erwischen, der die Zone befährt oder betritt, ist leider selten», sagt Sepp Koller. Die Anwesenheit der Kontrolleure hat aber auch eine präventive Wirkung.
Viele Skifahrerinnen und Skifahrer halten an und fragen, was wir machen. Wir sensibilisieren und informieren die Leute vor Ort.

Grosser Energieverlust, wenn Tiere gestört werden

Wildruhezonen gibt es dort, wo Konfliktpotenzial zwischen ruhendem Wild und Wintersportlerinnen und -sportlern besteht – also häufig in der Nähe von Ski- oder beliebten Wandergebieten. «Wildtiere brauchen Ruhe im Winter», erklärt Sepp Koller. «Insbesondere die Schalenwildarten – also Hirsch, Gams, Reh und Steinbock. Sie fahren ihren Stoffwechsel auf ein Minimum herunter, damit sie weniger Energie verbrauchen. Das ist ihre Überlebensstrategie.»
 Wildtiere brauchen im Winter Ruhe.
Wildtiere brauchen im Winter Ruhe.
Bild: Markus P. Stähli/Wildphoto.ch
Wenn die Tiere in ihren gewohnten Ruhegebieten durch Menschen gestört werden, fahren sie den Kreislauf schlagartig hoch, damit sie fähig sind zu flüchten. «Das verursacht unheimlich viel Stress», weiss Sepp Koller. «Die Tiere erleiden einen riesigen Energieverlust, haben dann Hunger und fangen an, Nahrung zu suchen. Diese ist im Winter qualitativ schlecht und so fangen sie häufig an, im Wald Bäume zu schädigen.» Wildruhezonen sollen genau in solchen Kerngebieten den nötigen Lebensraum schützen und Ruhe schaffen. Manche Schutzzonen dürfen auf bestimmten Pisten oder Wegen durchquert werden, die aber nicht verlassen werden dürfen.
 Wenn Hirsche in ihrer Winterruhe gestört werden, fahren sie ihren Kreislauf schlagartig hoch. Das kostet viel Energie.
Wenn Hirsche in ihrer Winterruhe gestört werden, fahren sie ihren Kreislauf schlagartig hoch. Das kostet viel Energie.
Bild: Markus P. Stähli/Wildphoto.ch
Ein mehrjähriger Prozess Bis eine Wildruhezone rechtskräftig ausgeschieden ist, vergehen in der Regel mehrere Jahre. Wenn Jagdgesellschaften oder Wildhüter Potenzial sehen in einem Gebiet, wo Wild im Winter ruht und regelmässig gestört wird, werden die Grundlagen für eine Wildruhezone ausgearbeitet. Dabei gelten strenge Vorgaben. So muss die Zone beispielsweise klar abgrenzbar sein durch Wege, Strassen oder Gewässer. Anschliessend durchläuft das Anliegen das Mitwirkungsverfahren, bevor die Wildruhezone umgesetzt und ausgeschildert werden kann. Im Aufsichtsgebiet von Wildhüter Sepp Koller, das von Rebstein bis Wartau reicht, läuft derzeit die Prüfung für mehrere Wildruhezonen. Er vermutet, dass in Zukunft vermehrt Gebiete geprüft werden müssen, weil der Wintertourismus, gerade auch neben den Skipisten, immer mehr zunimmt. 

Auch Pilzsammler überschreiten die Grenzen

Die Wildruhezone auf Gamperfin gilt ganzjährig – die Kontrolleure erwischen im Sommerhalbjahr ab und zu auch Pilzsammler, die das Verbot missachten. Andere Schutzgebiete hingegen sind nur im Winter, zum Beispiel ab Mitte November, rechtskräftig. Wildruhezonen sind in der ganzen Schweiz einheitlich ausgeschildert, etwa an Tal- und Bergstationen von Bergbahnen. Auch auf der Hochebene Gamperfin stehen bereits bei den Parkplätzen grosse Tafeln mit Karte und Piktogrammen, die man von weitem sieht.
 Die grossen Tafeln beim Parkplatz sind von weitem sichtbar.
Die grossen Tafeln beim Parkplatz sind von weitem sichtbar.
Entlang den Wanderwegen und an einladenden Stellen am Waldrand sind zusätzliche Schilder oder gar Absperrbänder angebracht. Diese zu übersehen, ist beinahe unmöglich. Sepp Koller:
Wenn man dann trotzdem Schneeschuhspuren sieht, die mitten durch das Kerngebiet der Wildruhezone führen, tut mir das weh.
 Frische Spuren zeigen: Hier halten sich Hirsche auf.
Frische Spuren zeigen: Hier halten sich Hirsche auf.
Manchmal erwische man bei Kontrollen Leute, die angeben, nichts von den Wildruhezonen zu wissen. «Andere wissen es aber haargenau und geben an, dass sie es gezielt suchen, abseits von Pisten fahren zu können.» Sie widerstehen der Versuchung nicht, beispielsweise in traumhaft schönen Jungwäldern unterwegs zu sein. Dies auf Kosten der Wildtiere. Unter www.wildruhezonen.ch gibt es eine interaktive Karte, die man auch via Handy anschauen kann.